Steiner – Beuys – LuhmaNN

Steiner/Luhmann – Reminiszenzen
Jetzt wird’s erst richtig absurd, füge ich zu dem Vergleich Beuys – Luhmann noch Rudolf Steiner hinzu.
Nehmen wir das Klientel von Luhmann, das sich aus liberalen Hintergründen mit Nähe zur Kybernetik speist, eine Generation, die vom PC aufgezogen wurde und sich als aufgeklärt und religionsskeptisch definiert – hat mit esoterischen Figuren wie Steiner und seiner Fähigkeit, Geister zu sehen, wenig am Hut.
Obwohl Mitbegründer der Universität Witten/Herdecke, wie Konrad Schily ( der sich in der FDP engagierte), Anthroposophen waren.
Gerade Witten/Herdecke bildet eine geistige Brücke zwischen Anthroposophie und Systemtheorie. Gegründet aus anthroposophischen Impulsen zeitgleich mit der FIU ( Free International University, Documenta Kassel 1977, von Beuys), lehren dort Personen, die sich an Luhmanns Systemtheorie orientieren.(1)
Beuys/Steiner – Reminiszenzen
In den Beobachtungen zum 100. Geburtstag von Beuys taucht bei den Verdächtigungen, Beuys sei ein verkappter Nazi, regelmäßig der Name Rudolf Steiners auf.
Die Nähe von Beuys zu den Ideen von Steiner überträgt die Verdächtigung, Steiner sei ein Rassist und Antisemit (2), auf Beuys. Das Interesse von Beuys an Steiner und die Auseinandersetzung mit dessen Ideen noch zu Zeiten des Nationalsozialismus werden als Beweis angeführt, dass Beuys nie von den Ideen der HJ losgekommen sei und diese sein Werk prägten.
Nur dürfen wir, die Nachgeborenen, nicht meinen, wir hätten erst jetzt solche Zusammenhänge erkannt und diese wären zur Zeit Steiners (3) oder in der Zeit von Beuys (4) unbekannt gewesen und nicht kritisch reflektiert worden.
Beuys/Steiner – vertiefend
Beuys hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass die Ideen von Steiner auch seine Ideen sind.
Aber jedem nur einigermaßen Kunstsinnigen müsste klar sein, dass es sich bei Beuys um keinen Epigonen handelt, von denen die anthroposophische Bewegung voll ist.
Zu ihnen kann Beuys nicht gezählt werden, handelt es sich doch bei seiner Kunst um einen völlig eigenständigen, unvergleichbaren Kunstentwurf!
Nur ein Blick auf die Arbeiten von Beuys müsste deutlich machen, dass er parallel zu Rudolf Steiner Ideen entwickelte, deren Einsichten sich ergänzen.
Der erweiterte Kunstbegriff
Beuys scheute sich nicht, in die Kunst wieder (5) Ideen aus Philosophie, Wissenschaft und Religion gleichwertig einzubeziehen. Die Ideen dienten nicht, wie bei anderen Künstlern, seine Kunst zu erklären, sondern sie selbst waren Kunst. Es war für ihn notwendig, alle nur möglichen Ideen, die die Welt erklären, gleichwertig neben den formalen Gestaltungsfragen der Kunst auftreten zu lassen.
Naturwissenschaft, Philosophie, Literatur, Wirtschaft, Soziologie, Politik und Kunst bildeten für Beuys eine Einheit, der er in der Kunst ein Forum zu geben suchte. Aber nicht im Sinne der Illustration von Weltinhalten, sondern als Kommunikation von Weltinhalten von und durch Kunst.
Er bezog Steiners Idee ebenso mit ein, wie die des Baron de Montesquieu,
scheute vor der Disziplin und der Askese eines Ignatius von Loyola nicht zurück,
auch nicht vor dem politischen Charisma eines Nikolaus von der Flühe.
Er bezog die extreme Auffassung des Anacharsis Cloots, der in der Nähe von Kleve hauste, mit ein.
Er sah die Ideen von Paul Ricoeur als Grundlage seiner Geldtheorie,
berief sich auf den völlig abgefahrenen Geister- und Engelseher Emanuel von Swedenburg(6).
Die Botschaften des Christentums waren für Beuys ebenso Referenz, wie die Durchsetzungskraft eines Dschingis Khan bzw. eines amerikanischen Mafiabosses, um den Spannungsbogen seiner Bezüge aufzuzeigen.
Wenn Personen wie Hans-Peter Riegel (7) und einige Professoren heute meinen, Beuys hätte in seinem Atelier in Düsseldorf nur die Inhalte eines Rudolf Steiner illustriert, zeigen diese nur ihre Hilflosigkeit der Kunst gegenüber. Ein „Fonds“ von Beuys ist keine Illustration von was auch immer, sondern die Realisation von Ideen, die ebenso Steiner und Goethe beschäftigten.
Trennung von Inhalt und Form aufgehoben
Ab Beuys gilt die bisher bewährte Trennung von Inhalt und Form nicht mehr: Die Zeichnungen auf einer Schultafel, die er im Gespräch anfertigte, sind ebenso Kunst, wie die abgelegte Honigpumpe, die zur Gründung der Free International University in Kassel aufgebaut war und „Honig durch unsere Körper und Köpfe pumpte“.
Was 1977 in Kassel in der FIU gesprochen und diskutiert wurde, gehört ebenso zum Werk, wie die abgelegte Honigpumpe in der Ecke eines Museums.
Für Kommunikationstheorien haben diese Vorgänge unabsehbare Konsequenzen.
Lasst uns die Frage stellen, ist Luhmanns Kommunikationstheorie der Fettecke gewachsen?
Honigpumpe am Arbeitsplatz
Luhmann auf der Documenta 1977 in Kassel –
eine Episode
Bazon Brock hatte mich auf den Luhmann/ Habermas Streit angesetzt. Mit dem noch unverdauten Werk im Kopf kam ich im Sommer 1977 in Kassel an und beteiligte mich, Wochenende für Wochenende, an den Diskussionen der FIU ( Free International University).
Beuys hatte seine Geldtheorie und die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus vorgetragen, es wurden konkrete Fragen diskutiert, z.B. die Antiapartheitsbewegung in Südafrika oder die Rüstungsindustrie Englands. Der Fächer der Fragen war weit gespannt und umfasste fast alle aktuellen politischen Fragen der Zeit.
Das Theorieangebot und die Sprache, die dort herrschte, war nicht bevormundend, sondern an den Fragen der anwesenden Menschen orientiert und mit dem Angebot verbunden, Gesellschaft begrifflich zu denken, wofür Beuys seine Theorien zur Verfügung stellte.
Beuys konnte dabei auch stundenlang zuhören und anderen das Wort überlassen. Es gab keine Lösungen, sondern Denkanregungen, die breite Auffächerung gesellschaftlicher Fragen war mehr an Problemstellungen als an Rezepte orientiert.
Ich brachte immer wieder Argumente ein, die durch mein Studium des Luhmann/Habermas-Streits beeinflusst waren. Es schien mir, als würden die dort geäußerten Gedanken im Widerspruch zu den Ideen von Beuys stehen.

Ich vertrat die Idee, dass die heutige Gesellschaft hoch komplex und differenziert organisiert sei und dass man deren Wirkzusammenhänge nicht auf ein Prinzip (Geld oder Kapital) reduzieren könne.
Da ich immer wieder mit der Komplexität der Welt argumentierte, reagierte Joseph Beuys direkt darauf.
Er stimmte mir zu, aber sagte, dass hochkomplexe Systeme oft durch etwas ganz Einfaches irritiert werden können und in sich zusammenfallen würden. Ein Wort (7) an der richtigen Stelle könne stärker wirken, als noch so komplexe Zusammenhänge. Er sprach auch davon, dass komplexe Systeme anfälliger und instabiler seien, als „das Jaulen eines Kojoten“ (8).
Für Joseph Beuys war damals der „Kapitalbegriff“ jenes Wort, über das die komplexen Fragen unserer Konsumwelt auf den Punkt gebracht werden konnten.
Kapital ist nicht Geld, Beuys sieht die menschlichen Fähigkeiten als eigentliches Kapital. Sein Credo „Jeder Mensch ein Künstler“ ist der Kapitalbegriff, mit dem Beuys die komplexen Fragen des Wirtschaftslebens auf einen Punkt zu bringen suchte.
Die Konsequenz daraus war für ihn, dass der Geldkreislauf dem „eigentlichen Kapital“, den Fähigkeiten angeglichen werden müsse.
Steiner/Luhmann – Parallelen
Im Schnellverfahren könnte die Systemtheorie als die zeitgemäße Weiterentwicklung der Idee der sozialen Dreigliederung angesehen werden.
Mit der Bezeichnung „Dreigliederung des sozialen Organismus“ stellt Steiner einen Bezug zu Organtheorien her, von denen sich die Theorie der Systeme abzusetzen suchte.
Organtheorien sind wie Systemtheorien als Denkmodell aus der Biologie entliehen. Mit dem Begriff des Systems wird eine formalisierbare Abstraktionshöhe erlangt, wodurch die Systemtheorie von der Natur weitgehend unabhängig wird.
Die Idee der „Dreigliederung des sozialen Organismus“ bezog sich auf die sich völlig widersprechenden Ideen der Französischen Revolution. Mit „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ verband Rudolf Steiner folgendes:

Freiheit = Kunst / Bildung / Wissenschaft
Gleichheit = Recht / Staat
Brüderlichkeit = Arbeit / Wirtschaft / Konsum.
Geistesgeschichtlich verbindet sich das „Dreier-Prinzip“ mit anderen Modellen,
wie mit denen der drei unterschiedlichen Charaktere, die sich in den Figuren des „Philoktet“(9) vereinigen.
Mit der Trinität, eine Auseinandersetzung, die über Jahrzehnte andauerte und in der es um die Einheit von Gott-Vater, Gott-Sohn und Heiligen-Geist ging, die mit dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 n. Chr eine Form bekam.
Diese Dreieinigkeitslehren (10) versuchten nichts anderes. als von monokausalen Denkmodellen abzukommen, um Widersprüchliches vereinigen zu können, die in hierarchischen Modellen nicht überwunden werden konnten.
Die Trikolore der Franz.ösischen Revolution war der logische Schritt, nachdem die Idee der Gewaltenteilung von Montesquieu innerhalb der Gesellschaft entdeckt worden war. Jedes der drei Elemente steht für sich und trägt zum Erhalt der Einheit der Gemeinschaft bei.
Freiheit/ Gleichheit/ Brüderlichkeit ( heute Geschwisterlichkeit) konkurrieren untereinander und ergänzen sich über ihren unterschiedlichen Bezug zum Sozialen.
Die Idee einer sozial differenzierten Gesellschaft von Niklas Luhmann ist – meines Erachtens – die konsequente Überführung des Widerspruchs der Dreiheit in den produktiven Widerspruch einer Vielzahl von Systemen, die sich wechselseitig befördern und beschränken.
Voraussetzung dazu war die Annahme von autonomen Systemen. Eine Dreiheit symbolisiert eine höhere Einheit, die aber, wie in der genialen Trinitätslehre, nicht außerhalb, sondern in jedem einzelnen Glied festzumachen ist. Jedes der drei ist das Höchste! Die Einheit des Widerspruchs wird in jedem der drei Teile gefasst.
So wie die Einheit des Gesamtsystems Gesellschaft auch in jedem seiner Teilsysteme gegeben sein muss, was nichts anderes heißt, als dass jedes System für sich autonom agieren können muss.
Black Box
R.Steiner ( Goethe) versus N. Luhmann
R. Steiner sagte immer wieder, er habe die Naturanschauung Goethes weiterentwickelt. Alles, was bei Rudolf Steiner esoterisch klingt, ist bei Goethe Anschauung, Beobachtung, Vergleich und Vorsicht im Umgang mit Benennung und Metaphorik.
Wenn Steiner von Lebensleib spricht, ist das bei Goethe die Entdeckung der „Urpflanze“. Jene Vorstellung, die sich ihm in Sizilien verdichtet hatte und zum Modell der Pflanze geworden war, von der sich alle Pflanzenarten ableiten ließen. Carl von Linné, ganz unabhängig von Goethe, gliederte die Pflanzen an Hand ihrer Blütengestalt in Gattungen wie Rosen-, Hahnenfuß- , Nachtschattengewächse usw.

An Goethe, der die Metamorphose der Blätter bis zur Blüte hin beobachtete, knüpfte R. Steiner an und sah in der Farb- und Formverwandlung des Blattes einen „Impuls“ von außen wirken, der diese Verwandlung zur Blüte hin bewirkt.
Dieses Andere, dieses von außen Kommende ist der Tierwelt ähnlich, so Steiner, als würde das, was bei den Tieren sich als Begehren äußert, sich innerhalb der Pflanzenwelt in Form, Farbe und Substanzen äußern. Das, was sich in der Tierwelt als Begehren äußert, drückt sich bei den Pflanzen, in der Metamorphose des Blattes, in Farbigkeit und durch chemische Substanzen aus, die sich in Blüte und Frucht bilden. (11)
Die sinnlichen Eigenschaften, die sich in der Tierwelt bilden, benannte Steiner mit dem Begriff des Astralleibes (12) und behauptete, das Astralische wirke über die Blüte in die Pflanze hinein.
Beuys interessierte dieser Prozess der Pflanze zur Blüten-, Samen- und Fruchtbildung als einen durch Sonne und Wärme ausgelösten Prozess, der wiederum Wärmespeicher wie Öle und Fette hervorbringt.

Die Bienen spielen stellvertretend für die anderen Insekten, die an der Befruchtung beteiligt sind, für Beuys eine zentrale Rolle. Bienen bildeten Staaten, formen in einem Wärmeprozess ihre Waben, erzeugten die wertvolle Nahrung Honig, das Gelée Royal, tanzen wunderschön und funktionieren vergleichbar einem Staat (Maurice Maeterlinck).
Der mit den Blüten und der Fruchtbildung verbundene Wärmeprozess bildete für Beuys den beispielgebenden Hintergrund für die Idee der Sozialen Plastik als Wärmeplastik.
Die Fett- oder Schamecke

Die Verwendung von pflanzlichem Fett und die Idee, Fett fein säuberlich und genau bemessen in Ecken zu schmieren, hat in der Metamorphose der Pflanze, die Goethe entdeckte und Steiner medizinisch und pharmazeutisch weiterentwickelt, ihre geistesgeschichtliche Quelle.
Das in Früchten und Samen sich bildende Fett, verarbeitet zum Industrieprodukt gehärteter Pflanzenfette, ist der Ausgangspunkt aller Aktionen von Beuys. Kriechend transportierte er die unförmige Masse Fett an den Ort, der das westliche Weltbild symbolisiert, nämlich in die Ecke.
In der Ecke verbindet sich die Orthogonalität des rationalen Denkens mit Fett.
Fadenkreuz und Ecke
Das Zusammentreffen der Horizontalen mit der Vertikalen war bei „den Alten“ der unheimlichste Ort überhaupt, nur haben wir dieses Wissen optimistisch modern beiseite geschoben.
Bei den Griechen durfte weder die Horizontale, noch die Vertikale gerade sein, sie musste immer eine Krümmung, eine Entasis haben. Der rechte Winkel war „den Alten“ ein Horror, der sich nie so nüchtern und absolut – wie in der Moderne – zeigen durfte.
Das Aufeinandertreffen der Horizontalen und der Vertikalen
musste immer vermittelt werden, wovon die kunstvollen Ausbildungen der Kapitele lebhafte Anschauung geben.

Die nüchterne Kante, die brutale Ecke, der ganze Stolz eines Mondrian und der modernen Architekten, wie Adolf Loos, wurde von Joseph Beuys mit wärmender, mit schützender Materie verhüllt und zugestrichen.
Jeder, der Tempel oder Kathedralen baute, wußte :
Gerade und Ecken dürfen auf keinen Fall sein!
Ob der Architrav des griechischen Tempels, oder der Unterbau, das Stylopat oder Säulen und Wände, sie alle hatten Kurvaturen, die der Entasis, der Spannung dienten, gerade durften sie auf keinen Fall sein (13).
Und wenn es nicht anders ging, mussten die Ecken von einem Akroter, einem Engel oder Drachen behütet werden.
Die klare Linie, die Kanten, die Ecken, der Stolz unserer Moderne, hat vergessen lassen, welcher Hybris wir uns mit der Anbetung der geraden Linie aussetzen.(14)

Die Ecke ist das Symbol einer orthogonal geordneten Welt. In ihr sind Immanenz (die Horizontale) und Transzendenz (die Vertikale) mit der dritten Dimension, dem Raum. Neben den zeitlichen Elementen der Horizontalen und der Vertikalen (des Kreuzes) kommt die Dimension des Raumes durch die Ecke dazu (15).
Die Absolutheit der Ecke, kann nur gefährden, das wusste Beuys.
Historische Differenz
Einschub
Der Vergleich Steiner/Luhmann muss aus der historischen Differenz verstanden werden, sonst wäre so ein Vergleich völlig absurd.
Haben wir doch u.a. durch das Elekronenmikroskop vertiefte Einsichten in das symbiotische Zusammenspiel der Insekten, der Pilze, Mikroben, Bakterien und Viren mit Pflanzen und Tieren erhalten, wodurch die Grenzen der einen von der anderen Welt schwerer als zu Zeiten Goethes/ Steiners zu setzen sind. Wir müssen uns mit Einsichten in ein Zusammenspiel auseinandersetzen, als definitiv Tier und Pflanze auseinander halten zu können (16).
Aber bleiben wir auf dem Stand von Goethe und Steiner und fragen uns, über welchen Einfluss die Botschaft von dem Tier- auf das Pflanzen-“Reich“ übertragen wurde. So wäre eine mögliche Antwort, es muss eine höhere Einheit, ein Schöpfungsakt oder dergleichen sein, der diesen evolutionären Impuls setzt.
Rudolf Steiner sah das genau so, was ihn zu der eigenartigen Schlussfolgerung führte, dass die Evolution nicht aufsteigend von den Mineralien über die niederen Organismen zu den höheren Organismen wie Pflanzen, Tieren, Mensch erfolgen konnte, sondern umgekehrt, der Mensch als geistige Einheit zuerst da war und dieser die mineralische Welt, die Biosphäre und die Tiere aus sich hervorbrachte, diese ausschwitzte.
Trotz Märchen brauchbare Ergebnisse
Stellen wir die Evolution nicht wie Steiner auf den Kopf, so können wir in einer Art Gesamtüberschau und im Vergleich Ähnlichkeiten erkennen, für die es nie Botschaften von den Tieren zu den Pflanzen gegeben haben muss. Das Modell System Umwelt und die eigenständige Antwort eines Systems auf Umweltbedingungen erklären die Beobachtungen Goethes und Steiners genauso.
Trotz der esoterischen Wortwahl Steiners, (Astral- und Ätherleib) und seiner märchenhaft anmutenden Weltentstehungstheorie hatten die konkreten Beobachtungen Goethes und Steiners ganz praktische Auswirkungen z.B. in der Pharmazie, Medizin und Landwirtschaft, die aufzeigen, dass zwischen den Bedingungen, aus denen pflanzliche Substanzen entstehen und den Zuständen von Tier und Mensch Korrespondenzen sind.
Die Fettecke ein Vorschlag zur Kommunikation
Erst wenn der Luhmannsche Kommunikationsbegriff so weit gefasst wird, dass auch eine Fettecke darin Platz findet, kommen wir dem Kern, den Ideen von Maturana/Luhmann näher.
Beuys hatte Fett und Filz nicht wie die „Art Povera“ nur ästhetisch eingesetzt, als Gegenmaterial zur glatten Oberfläche der Nachkriegszeit. Er erweiterte schon mit der Verwendung dieser Materialien den Kunstbegriff über den in der Modere üblichen Bereich hinaus.
Die von ihm verwendeten Haare in Form von Filz sind biochemisch gesehen gehärtete Eiweiße, die als Langzeit-Speichergedächtnis tierischer wie menschlicher Körper angesehen werden können und den Fingernägeln, dem Horn und dem Geweih verwandt sind.
Das Haar verweist auf uralte Instinkte und Kräfte männlicher ( Johannes der Täufer und Samson) wie weiblicher Haarträgerinnen (das Haupt der Medusa, die Hl. Magdalena, eine Burka tragende Muslimin). Den Haarträgern wurden besondere Fähigkeiten zugesprochen, wie die Fähigkeit zum Heilen, Unverletzbarkeit, Verführung usw.
Dass Beuys Filz wählte, der metaphorisch immer wieder für Verfilzung in Politik, Institutionen und mafiöse Machtzusammenhängen angewandt wird, ist nicht von ungefähr. Werden Haare doch immer auch mit Macht, wie die Mähne des staatstragenden Löwen zeigt, verbunden.

Kunstimmanent gibt es keinen Hinweis dafür, wieso in der Kunst der Moderne Haare und Fett in der Art wie Beuys es tat verwendet werden sollten. Es gibt keine Hinweise, dass aus der vorhergehenden Entwicklung so etwas wie ein „Fonds“ logisch hätte abgeleitet werden können, was bei den meisten Kunstinnovationen, die weitgehend kunstimmanent berechenbar sind, sehr wohl der Fall ist.
Haare und Fett wurden auch von anderen Künstlern verwendet, aber als Gestaltungselement und nicht in dieser stofflichen Präsenz, wie bei Beuys.
Die oben angebotenen kulturgeschichtlichen Bezüge ergeben sich erst durch die Setzung von Beuys rückbezüglich.
„Ich denke sowieso mit dem Knie“
Es gibt keinen anderen Grund, wieso diese Materialien in dieser Form in der Kunst vorkommen, als durch die Vorstellungen, die Beuys mit diesen Materialien verbindet und die Goethe und Steiner zumindest in Bezug auf das Fett auch so sahen. (17)
Beuys vertraute auf „Ur-Instinkte“ und war sich sicher, dass diese vorzivilisatorischen Zeichen von den Menschen heute noch gelesen werden können, zumindest, dass die Materialien in den Anordnungen eine Faszination ausüben, die so lange andauert, bis die Zeichen verstanden werden.(18)
Er vertraute auf eine Grundsensibilität der Menschen trotz unserer Zivilisation und einer Kommunikation, die weitgehend damit beschäftigt ist, vom Wesentlichen abzulenken.
Er vertraute darauf, dass sich eine Fettecke oder ein mit Kupferplatten belegter Filzstapel, ein sogenannter Fonds, selbst erklärt. Weil diese sich aus unserer Existenz heraus erklären, unsere körperlichen Bedingtheiten transzendieren diese.
Die Sprache der Körper
ist uns vertrauter als alle Theorie, Erzähl- und Sprechweisen über Welt, von denen es natürlich auch jene gibt, die genau davon erzählen.
Wie „kommunizierende Gefäße“, die die Form gebogener Glasrohre brauchen, das Wasser und dessen spezifisches Gewicht, bezogen auf die Erdanziehung,
so bedarf die Kommunikation über Objekte von Beuys existenzieller Körpererfahrungen und einer sinnlichen Sensibilität, die längst verloren schienen.
Der Denkansatz von Luhmann drängt solche Erfahrungen theoretisch in den persönlich „subjektiven“ Erfahrungsbereich von Individuen ab, was nicht der Fall ist, da es sich hierbei scheinbar um ein kollektives Wissen handelt, das über eine spezielle Kunsterfahrung hinausgeht.
Zu anderen älteren Erzählungen, die oben erwähnt wurden und die Ähnliches berichten, gibt es zur Fettecke keine direkten Anschlussmöglichkeiten.
Nur die Ahnung körperlich existenzieller Erfahrungen wie Hunger, Kälte, Wärme, Liebe verschaffen uns den Zugang zu den Objekten von Beuys.
Die Fettecke steht im Schutzraum Kunst erst einmal ganz fremd da, nur das Sprechen kann sie lebendig werden lassen, aber ohne Erfahrungsbezug zu Fett und zu Ecken – um in dem Beispiel zu bleiben – bleibt alles nur Geschwätz und wird von vorne beginnen müssen.…
„Kommunikation muss anscheinend in der Körper- und Geschichtserfahrung vergessen werden, damit diese kommunikativ wieder auftauchen kann“ –
— Oder anders gesagt, die Einsicht in die Nichtkommunizierbarkeit von existenziellen Erfahrungen, da kollektiv gegenwärtig, machen diese Erfahrungen erst sichtbar.
Kommunikation besteht nicht nur darin, uns zu verständigen, sondern wir müssen uns über die Welt verständigen, sonst verständigt diese sich über uns hinweg!
Die Black Box ist vielleicht ein frommer Glaube für Menschen ohne Lyrik?

GL
(1)Dirk Baecker, Heiko Kleve, Fritz B. Simon fallen mir auf die Schnelle ein.
(2) Es gibt in den von Steiner nicht überprüften Nachschriften seiner Vorträge, eindeutig rassistische Äußerungen und auch Äußerungen über das Judentum, die antisemitisch gelesen werden können.
(3) Es gab zu Lebzeiten von Steiner, im besonderen bei der Theosophischen Bewegung eine Nähe zu Nationalsozialisten, u.a. ein Grund, wieso Steiner sich von der Bewegung Blavatskys getrennt hatte. Im besonderen die SA von Himmler zog Esoteriker wie und Anhänger sozialistisch/kommunistischen Bewegungen an. Steiner ist 1925 gestorben und hatte sich von den Nationalsozialisten ( Parteigründung 1920) ausdrücklich distanziert.
(4) Karl Fastabend, Beuys Sekretär im Büro fr Direkte Demokratie, der in den Siebzigerjahren einige Texte für Beuys formulierte, war ein ehemaliger SA-Mann.
Im Umkreis von Adenauer bis Kreisky und in allen Bereichen der Gesellschaft waren unzählige ehemalige Nazis tätig. Nach Aussage von Marcel Reich-Ranicki war zu seiner Zeit die gesamte Spiegelredaktion von ehemaligen SS Leuten durchsetzt.
Fastabend war im Büro für „Direkte Demokratie“ keine dominant bestimmende Figur. Beuys bezog unzählige Personen mit ein, die über ein Spezialwissen verfügten, auch wenn er mit deren Auffassung nicht übereinstimmte.
Wilfried Heidt und Wilhelm Schmundt vom Achberger Institut für Sozialforschung, die die Dreigliederung von Steiner vertraten gab Beuys ein Sprachrohr bei seinen Veranstaltungen.
(5) Bis zur Moderne und bis zur Abstrakten Kunst war es üblich, sich in der Kunst auf Weltinhalte aus Religion, Politik, Gesellschaft zu beziehen. In der Moderne hat die Selbstgenügsamkeit und ein Verständnis von Autonomie dazu geführt, dass alles Inhaltliche als illustrativ abgetan wurde.
(6) In einem Spiegel-Interview bezeichnete Beuys Nikolaus von der Flühe und Emanuel von Swedenborg als die Leitfiguren seines Wirkens.
(7) Hans-Peter Riegel, sogenannter Beuysbiograph, der bemüht ist, Beuys eine Nähe zum Nationalsozialismus nachzuweisen.
(8) Nicht wie Luhmann, der in dem „Video aus dem Krähwinkel“ äußert, ein aus dem System entfleuchter Satz taumelt verwirrt durch die Welt und zeigt gesellschaftliche Wirkung. Für Beuys ist so ein Wort oder Satz eine demokratische Essenz, die von den Menschen als hilfreich – wenn auch nur temporär – erkannt wird.
(8) Dass hier Erinnerung und Dichtung durcheinander gehen ist klar, sind doch inzwischen mehr als 40 Jahre vergangen. In der Zwischenzeit fand der 11. September statt, der ein Negativbeispiel dafür wurde, wie einfach Komplexität gewalttätig reduziert werden kann.
Ein Geschehen „auf den Begriff zu bringen“, ist, ohne gewalttätig sein zu müssen, die positive Seite der Vereinfachung.
In diesen Zusammenhang passt auch eine Äußerung von Beuys, die in etwa so lautete: „Letztlich ist mir ein Fachidiot lieber, als ein Universaltrottel“, das heißt, Beuys traute einem ausdifferenzierten Fachwissen letztlich mehr als einer generalisierten Philosophie.
(9) https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/jahrhundert-das-individuum-entdeckt-wurde-17275558.html?
(10) diese sind von der asiatische Ying Yang Lehre zu unterscheiden, bei der das duale Prinzip vorherrscht und das dritte Prinzip, das Qi ausgleichend wirkt, das das Maß und die Rhythmik der Gegensätze bezeichnet
(11) Alkaloide, Fette, Öle Duftstoffe usw.
(12) mit so einer Bezeichnung kann er heute nur in die Esoterik-Ecke abgeschoben werden.
(13) am Königsplatz in München zu beobachten. Die Steifheit der klassizistischen Bauwerke rührt daher, dass ihnen die Entasis fehlen.
(14) Hundertwasser hat sein Leben dieser Thematik gewidmet.
(15) Für Luhmann stellt Transzendenz und Immanenz den Code der Religion dar. Beuys würde dazu sagen: Da fehlt etwas, das Fett!
(16)Dass Einsichten aus der Biologie, von Uexküll bis Maturana, auch über Luhmann Eingang in die Soziologie fanden, gehört hierher. Im besonderen, dass Humberto R. Maturana, der vor wenigen Tagen gestorben ist, überhaupt nicht damit einverstanden war, dass Luhmann das Modell, das für die Biologie und die Frage des Lebens brauchbar erschien, auf die Soziologie übertragen hatte. Und ich gehe davon aus, dass diese Ablehnung nicht dem Narzissmus geschuldet ist, sondern auf der Einsicht beruht, dass ein Modell, das in der Biologie aus Einsichten in die Evolution gewonnen wurde, sich nicht identisch auf soziale Systeme übertragen lässt.
(17) Beuys bezeichnete sich selbst als reinen Materialisten.
(18) Er äußerte sich des öfteren, dass, sobald seine Objekte verstanden seien, diese wieder entsorgt werden könnten.
Ein wunderbarer Beitrag, der Mut macht, auch eine größere Öffentlichkeit in eine Auseinandersetzung mit diesen und ähnlichen Überlegungen zur Kunst und Philosophie hinein zu führen. In welche Not uns Ecken bringen können, das wird so ganz nebenbei auf eine köstliche Weise spürbar.
Werner Mikus
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Sie haben ein fröhlich erfrischendes Gemüt, Danke !
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