Zu „Guiding distinction. Observierung with sozial system theory“
Lecture Performance (1)
abstract – Dubrovnik 024
Der Begriff Sinn verweist auf sinnliche Wahrnehmung. Das Persuasive der sinnlichen Wahrnehmung könnte eine Verbindung darstellen zu jener Evidenz, die den Sinnen eigen ist.
Die mögliche Täuschung durch sinnliche Wahrnehmung verweist auf das Verhältnis von Erscheinung und Realität, deren Vielgestaltigkeit auf Wahrnehmung zurückzuführen ist. (2)
SINN
Dass Luhmann dem Begriff des Sinns in seinen Überlegungen (3) eine solche Bedeutung zumisst, ist bemerkenswert! Ist Sinn doch einer der Kernbegriffe „alteuropäischen“ Denkens, von dem Luhmann sich abzusetzen suchte?
Sinn ist ohne Physiologie, ohne Psyche, Bewusstsein, ohne das Soziale, ohne vereinheitlichende Größen wie Ich, Gott, Geist, Welt, ohne Leitunterscheidungen wie, immanent/ transzendent, Kultur/ Natur usw. nicht denkbar.
Sinn suggeriert einen Telos, eine Perspektive, auf die alles Sinnvolle hinläuft. Im Sinn ist das Schicksal der Erde mit dem Kosmos verbunden.
Vom Sinn erzählen Mythen, Märchen, Erzählungen, Theaterstücke.
Sinn wird gewürdigt, besungen, gebaut, getanzt, gekocht, gegessen, erhungert, erlaufen, erstürmt bekleidet, verheißen, erwartet, gekauft, konsumiert, diszipliniert, eingeklagt, erzwungen, wiedergefunden.
Er wird erhört, erlesen, geschaut,
Wird umworben, manipuliert, verabscheut, ausgegrenzt, vereinnahmt, betont, überhöht, ignoriert, geliebt und gehasst.
Für Sinn werden Kriege begonnen und Frieden geschlossen, Menschen ermordet, der Tortur ausgesetzt… Kinder werden für Ihn geliebt, belobt, gequält, verhätschelt, missbraucht.

Differenztheorie
Luhmann formuliert eine Differenztheorie für Sinn, in der Unterscheidungen das Entscheidende sind.
Sinn unterscheidet sich nicht von Unsinn, von Nichtssinn, es unterscheidet sich von Welt, von Wahrheit, von Bedeutung, von Erkenntnis, vom Wesen, vom Sein usw.
Nach Luhmann hat Sinn viel, ja alles mit den Modalitäten von Wahrscheinlichkeit, von Möglichkeit zu tun, und mit Zeitformen, wie Gegenwarten, Vergangenheiten und Zukunften. Sinn hat neben der Zeitdimension auch eine Sachdimension und eine Sozialdimension mit verschiedenartigen Verschränkungen.
Die Unterscheidung von Erleben und Handeln in Bezug auf Sinn hat hier auch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.
Leitunterscheidungen
wie wahr / nicht wahr, krank / gesund, schön / scheußlich, erschließen sich durch Negationen.
Digital / analog, manifest/ latent, regional / global funktionieren über zwei Seiten und einer Grenze, die eine Seite von der anderen trennt. Das Gemeinsame der beiden ist deren Differenz, ein Drittes bleibt ausgeschlossen:
Dies führt unweigerlich zu pardoxen Verschlingungen, da immer das Eine im Anderen enthalten ist.

Sinn dekomponiert
Zwischen Luhmanns Auffassung von Sinn und dem der alteuropäischen Denkschule, tun sich Welten auf. Der Unterschied zwischen Luhmanns Auffassung von Sinn und unserem Alltagsverständnis von Sinn, ist elementar!
Verursacht wird der Unterschied dadurch, dass Sinn jenes Sammelbecken ist, in dem die soziale Evolution diffus wird. Sinn erscheint nicht nur auf dem neuesten Stand der sozial differenzierten Moderne, Sinnformen konkurrieren in vielen Gegenwarten, ganze Sinnbereiche werden ausgeschlossen, übersehen, denunziert, verhöhnt, belächelt.
Luhmanns Theorie schließt ein, dass es auch andere, als seine Sinnformen gibt, die ebenso berechtigt sein können. Er bietet seine Sicht ergänzend an, es besteht kein Ausschließlichkeitsanspruch!
Trennung Moral / Sinn
Zusammenfassend würde ich sagen, dass Luhmann Moral und Sinn trennt. Im „alteuropäischen Denken“, wie im Alltagsbewußtsein sind beide untrennbar miteinander verklebt, das erschwert bei Sinnfragen, die Moral vom Sinn zu isolieren.
Die Lebenswelt (4) grenzt Lebensbereiche aus – die mit ihr nicht deckungsgleich sind – wie Beruf, Freizeit, Familie, Liebesleben, Freundschaft, Nachbarschaft, Region, Landschaft, Mobilität, Gesundheit, Schule, Wissenschaft, Kunst, Architektur, Design/Kleidung, Religionen, Politik, Wirtschaft/Geld, Literatur, Musik, Tanz, Film, soziale Medien,
usw., die ihrerseits Sinn-Schemata zur Verfügung stellen
Das „Sinnvolle Leben“ des Einzelnen vermengt sich in der Beschreibung von Sinn unweigerlich mit den ausdifferenzierten Sinngebungen der Lebenswelten.
Der Mensch in den sozialen Systemen
Der „Luhmannsprech“ (5) sagt: In Luhmanns Systemtheorie kommt der Mensch nicht vor!
Im Gegenteil, er hat das „Plastische des Menschen“ ( Joseph Beuys ) indirekt miteinbezogen. Der unabsehbar befähigte Mensch: der Hungerkünstler, Friedensprediger, der Mafiosi, der Langweilige, die Modeikone, der Erfinder der Atombombe und noch mehr Variationen des Anthropos hat Luhmann in seiner Theorie indirekt miteinbezogen.
Der Mensch kommt bei Luhmann indirekt in Form der unüberschaubar unabsehbaren Möglichkeiten vor (5) .
Luhmann zeigt sich als wahrhaften Realisten und andererseits als moderner Idealist, denn er setzt eine Freiheit voraus, die nicht gegeben ist.
SINN der Möglichkeit
„Die Differenz von aktuell Gegebenem und potentiell Möglichem“ im Erleben und Handeln bedeutet für Luhmann SINN!
In weiteren Ausdifferenzierungen dieses Satzes werden „Identitäten“ symbolisch generalisiert in Schemata der Zeit-, Sozial- und Sach-Dimension mit jeweils zwei Horizonten, die zeitlich in „vorher und nachher“, sozial in „ego und alter-ego“ und sachlich in „innen und außen“ ausdifferenziert werden.
Die bipolaren Horizonte und Kombinationsvarianten halten die Möglichkeiten von Sinn weit offen.
Mit „Erleben oder Handeln“ hat Luhmann eine Leitunterscheidung in die Sinnfrage eingebracht, die im Christentum fokussiert wird : Im Kreuzestod, wird dem passiven Erleiden gegenüber dem aktiven Tun eine bedeutende, die Welt konstituierende Rolle, zugewiesen. (6)
Luhmann und das Böse
Es stellt sich die Frag : kann eine Theorie mit so hoher Abstraktion überhaupt für Sinnfragen, die sich der Einzelne stellt, herangezogen werden?
Nimmt man Luhmanns Theorieansatz wirklich ernst muss man auch das Böse, die Grausamkeiten der Menschen als eine Möglichkeit, die zum Guten führen kann, führen wird, annehmen. (7) Was einem moralisch begabten Menschen äußerst schwer fällt, ohne in boshaften Sarkasmus zu verfallen.
Hier zeigt sich Luhmanm in der Tradition großer Denker – als erneuernder Prophet der Apokalypse (8).
Methodik
Eine Lecture Performance (LP) ist nicht mit einem freier Vortrag über eine wissenschaftliche Arbeit zu verwechseln.
LP zeigt nicht auf ein Ergebnisse außerhalb des Ereignisses: „Die Aufführung selbst ist das Ereignis!“
Jeder gute wissenschaftliche Vortrag ist wie eine LP aufgebaut, der Aufführungscharakter selbst wird aber nicht explizit reflektiert. Was – zumindest nach meiner Auffassung – bei einer Lecture Performance der Fall sein sollte.
GL
(1) steht in der Tradition des Action Teaching von Bazon Brock und den Tafelzeichnungen von Joseph Beuys, deren Schüler und Mitarbeiter ich war.
2) In den »Meditationes de prima philosophia« (1642) behandelt Descartes den Aspekt der Täuschung
(3) Niklas Luhmann „Soziale Systeme – Grundriß einer allgemeinen Theorie“ Suhrkamp Wissenschaft 666
(4) Der Begriff der Lebenswelt – stellt eine Brücke zwischen Soziologie, Philosophie und dem dar, wie sich dem Einzelnen, dem Individuum die Sinnfrage stellt. Ein Begriff den Habermas und Phänomenologen wie Joachim Ritter, Odo Marquard und andere verwenden.
(5) Vorwegnehmend hat Robert Musil im Roman „der Mann ohne Eigenschaften“ jene Haltung anschaulich gemacht, die Luhmann im theoretischen Konstrukt zu fassen suchte. Eine Überschrift lautet: „Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch Möglichkeitssinn geben“.
(6)Joseph Beuys. Christus-Denken: Thinking Christ
Mennekes, Friedhelm, Verlag Katholisches Bibelwerk, 1996
(7) Mephisto in Goethes „Faust“ : (Ich bin) „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“
(8) „apokalyptisches Denken“ siehe Bazon Brock.de
