„Simposio D‘Arte“ zum Thema „L’Utopia della Repubblica dell‘Ossola“ Mantova 024

Marta Flisykowska 

„Grenze und Utopie“

Marta

Da wir davon ausgehen, dass Staaten Grenzen haben, nehmen wir wie selbstverständlich an, das würde auch auf die 40 Tage existierende Republik von Ossola zutreffen.

Republiken brauchen einen Staat und der hat Grenzen, das ist für uns selbstverständlich.

Die polnische Künstlerin Marta Flisykowska löst diese Selbstverständlichkeit mit ihrem Projekt für das „Simposio D‘Arte“ zum Thema „L’Utopia della Repubblica dell‘Ossola“ auf eigenwillige Weise auf.

Im Stiegenhaus des Palazzo von Paola Artoni und Paolo Bertelli in Grazie de Curtatone bei Mantova (Italien), in dem das Symposion stattfand, fand Flisykowska eine Wand vor, deren Putz inselförmig abgeschlagen und die darunterlegende Ziegelmauer freilegte.

Der noch vorhandene Putz an der Stiegenhauswand wird von ihr grün bemalt, die Bruchstelle befestigt und mit rotem Grund versehen, auf dem das Blattgold später aufgebracht wurde. Mit einer Frottage überträgt sie den „Inselraum“ auf Papier, bedeckt dieses mit transparenter Folie, auf der sie    Landschafts-Zeichen, wie wir sie von alten Karten kennen andeutet, fügt Reste von Bezeichnungen ein, welche Gegenden, Formationen usw, kennzeichnen.

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Damit erschafft sie eine Utopie mit goldenen Grenze, die sich von ihrer grünen Umwelt absetzt.

Einen Stock höher auf selbiger Treppe setzte sich das Grün fort und ihr Künstlerkollege Miguel Angel Herrero-Cortell bestückt diesen Stiegenabschnitt mit Archtekturelementen wie Bogengängen, Fenstern und Treppen reliefartig.

Die Künstlerin, die mit mehreren KünstlerInnen am Symposion zur Republik Ossola teilgenommen hatte, greift mit der goldmarkierten Bruchstelle, nach ihrer Aussage, auf die Tradition japanischer Töpfer zurück, die zerbrochene Gefäße an den Bruchstellen mit Gold sichtbar wieder zusammenfügten.

Überlegungen zu Grenze

und dem Ganzen

Das Staatskonstrukt „Republik“ existiert frei von  geographischen Grenzen als anwendbare Idee. Republiken finden Grenzen vor oder suchen – in den meisten Fällen heißt suchen, erobern – sich ihre Hoheitsgrenzen. Insofern sind Grenzen und Republik voneinander abhängig, aber nicht notwendigerweise.

Die Grenze kann zur größten Herausforderung für die Republik werden, wie wir aus dem Nord-Südstaatenkonflikt vor der Gründung Amerikas kennen, in Europa im Irland / Nordirrland -Konflikt, in Spanien mit den Basken, in England die Selbständigkeitsbestrebungen Schottlands, in Frankreich mit Korsika, in Italien mit Südtirol, um nur einigere der vielen permanenten Konfliktherde aufzuzählen. Der gegenwärtige Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zeigt sich mit eigener Problematik.

Die Idee der Nationalstaaten, die ab dem 19. Jahrhundert ein Motor politischer Bewegungen war, verstärkte die

Entzündungskraft, die an den Grenzen historisch gewachsener Reiche immer schon virulent war, noch einmal.

Die Idee eines geeinigten Europa sollte diese Entzündungsherde mildern, indem Regionen auf übernationaler Ebene zusammenarbeiten können. Ein gelungenes Beispiel ist Südtirol (die Heimat meiner Familie), das in Italien weitgehend autonom ist, womit viele Konflikte entschärft wurden.

Eine republikanische Verfassung umfasst innerhalb gesetzter Grenzen die Werte der dort lebenden Menschen. Diese grenzen an Gebiete, in denen ganz andere Interessen und  Werte herrschen, die von der eigenen „Insel“ aus nicht bestimmt werden können.

Über die Grenzen hinaus, sind andere Werte und Fähigkeiten gefragt wie innerhalb der Grenzen einer Republik. Diese Fähigkeiten sind nicht unbedingt mit den Werten der Republik identisch, müssen sie doch einiges zumindest kompensieren, was den inneren Werten nicht entspricht.

Republikanische Verfassungen gewähren die Freiheit des Einzelnen, kommt es zu Reibungen an der Grenze, z.B.  Gebietsansprüche, bleiben Konflikte virulent, was unweigerlich zur Einschränkung  der Freiheit ( z.B Zwangsrekrutierung, Beschneidung der Pressefreiheit, Handelsbeschränkungen usw.) im eigenen Staatsgebiet führen kann.

Napoleon hatte den Ländern Europas den Code Civil gebracht, indem er ihnen diesen aufzwang. Dieser imperiale Gestus liegt im Ursprung republikanischer Verfassungen begründet. Amerika hat eine Verfassung die dem Code Civil von Napoleon am nächsten kommt, auch Amerika lebt seinen imperialen Anspruch aus.

Grenze als permanente Bruchstelle.

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Wenn Grenzen als Brüche angesehen werden, setzt dieses Verständnis ein Ganzes voraus, das in Teile zerbrochen ist. Ein Ganzes, das in Teilen zerlegt wurde, würde seine Binnengrenzen nicht als Bruchstellen bezeichnen. Bruchstellen und Teile weisen immer auf ein Ganzes hin.

( Aus dem Grund wurde in Japan ein zerbrochenes Gefäß mit Gold zusammengefügt).

Ein Ganzes das irgendwo willkürlich reißt oder auseinanderbricht, wird die Grenze als Bruchstelle bezeichnet. Solche Brüchen zerreißen die Bindekräfte des Ganzen, die Zusammenfügung muss von außen erfolgen oder über einem langwierigen Prozess der inneren Umgestaltung.

Veredelung von Bruchstellen

Das Ritual der Veredelung von Bruchstellen verweist auf ein Ganzes, das in Teile zerbrach. Die Bindekräfte werden in den utopischen Verfassungen der Republiken und Demokratien, als alle Menschen umfassende Ideale, wie zB. die Menschenrechte angesehen.

Kolonialismus

Der Feudalismus wird ebenfalls von einer Auffassung des Ganzen beherrscht. Der kleinste Fürst verstand sich als Herrscher der Welt und errichtete seine Residenz als

Zentrum dieser Welt. Die zentral-symmetrische Architektur und die dort eingerichteten Wunderkammern zeigen diesen Gesamtanspruch. Unsere Nationalstaaten haben ihren Ursprung im 19. Jahrhundert. Der Kolonialismus ist Ausdruck dieser imperialen Weltbeherrschung, sein Macht- und Herrschaftsanspruch geht weit über die eigene Nation hinaus.

Allumfassende goldene Ideale,  wie der Code Civil und in der Folge alle Republikanischen Verfassungen, aber auch die Menschenrechte, können sich gegen ihre eigenen Ideale richten, wenn diese anderen aufgezwungen werden.

Auch der allumfassende Anspruch des Islams, der einen weltumfassenden Dschihad zu  denken vermag und diesen auch einfordert, ist ein Problem für diejenigen, die sich genau davon abzugrenzen suchen, um sich ihre Freiheit zu bewahren.

So kann sich der glänzende Rahmen einer idealen inneren Verfassung schnell vom Gold zum Blei, Stahl oder Uran, zur Berliner Mauer oder zum Iron Dome wandeln.

Günter Lierschof

(der Autor bezieht sich in dem Artikel auf die systemtheoretische Überlegungen von NiklasLuhmann)

  

Veröffentlicht von glierschofat

ein Zeichner, der gerne überzeichnet Vorsicht kann zur Satire gerinnen war Schüler und Mitarbeiter von Joseph Beuys & Bazon Brock

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